Neujahrsempfang des Porzer Handwerkerverbandes 2010

Gruppenbild Handwerkerverband

Der Vorstand des Porzer Handwerkerverbandes mit Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes. V.l.n.r.: Klaus Wernicke, Ingo Heyermann, Karl-Heinz Miebach, Elfi Scho-Antwerpes, Josef Flosbach, Wolfgang Floßbach, Frank Mannshausen

Am 17.01.2010 fand im Dechant-Scheben-Haus der Neujahrsempfang des Vereins Selbständiger Handwerksmeister Porz statt. Neuer 1. Vorsitzender wurde Karl-Heinz Miebach, nachdem Vorgänger Peter Schumacher nach 14 Jahren den Vorsitz abgab. Miebach, 1961 geboren, ist Dipl.-Ing. Maschinenbau mit Zusatzausbildung zum Schweißfachingenieur. Anfang der 90-Jahre übernahm er den elterlichen Betrieb, die Anton Miebach GmbH & Co. Stahlbau KG. Das Unternehmen beschäftigt zurzeit acht Mitarbeiter. Seit 2002 ist Miebach öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für das Metallbauerhandwerk und seit Herbst 2008 außerdem stellvertretender Obermeister der Innung für Metalltechnik Köln und Mitglied der Tarifkommission NRW. Miebach ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von 17 und 15 Jahren.

In seiner Rede ging der neue Vorsitzende besonders auf die demographischen Veränderungen in unserer Gesellschaft ein, die auch auf das Handwerk ihre nicht zu übersehenden Auswirkungen hat. „Ist die Gesellschaft“, fragte er, „wirklich vorbereitet auf uns 'Alte'?“, zu denen er sich augenzwinkernd schon selber zählt. „Sind die Tasten von Geldautomaten so gestaltet, dass wir sie auch noch mit arthritischen Fingern bedienen können? Verstehen wir überhaupt noch die Lautsprecherdurchsagen auf dem Bahnsteig?
Frage an den Hörgeräteakustikermeister Jahn:
Gibt es Hörgeräte, die uns ermöglichen, diese Lautsprecherdurchsagen zu verstehen, oder (...) gibt es Lautsprecher, die die Ansagen so klar und deutlich wiedergeben, dass wir sie überhaupt verstehen können?" Ferner verwies Miebach in seiner Rede darauf, dass die Hälfte aller niedergelassenen Ärzte schon 50 Jahre und älter sei, was bedeutet,
dass bereits in ca. 10 Jahren ein Großteil der Arztpraxen nicht mehr besetzt werden könne.

Miebach betonte, dass der demographische Wandel auch vor den Handwerksbetrieben nicht Halt mache. „Welcher Betrieb ist darauf vorbereitet?“, fragte er in die Runde. „Wie hoch ist das Durchschnittsalter der Beschäftigten? Sind die Arbeitsplätze so eingerichtet, dass auch noch 65-jährige Mitarbeiter dort arbeiten können?“

Leider habe es die Politik allzu lange versäumt, auf diese Entwicklung angemessen zu reagieren. „Die Franzosen“, meinte Miebach, „haben es (...) verstanden, jungen Müttern den Wiedereinstieg in den Beruf durch ausreichende Krippen- und Kindergartenplätze zu erleichtern. Wir in Deutschland zahlen dafür lieber aus ideologischen Gründen die „Herdprämie“ oder besser gesagt das „Gluckengeld.“ Darum sei es im Nachhinein müßig, darüber zu debattieren, warum in Frankreich schon seit den 70-er Jahren die Geburtenrate über 2,0 liegt und in Deutschland bei ca. 1.3. Auch unser Sozialsystem sei unzureichend auf diese Entwicklung vorbereitet; in erster Linie die sozialen Sicherungssysteme wie Renten-, Kranken-und Pflegesystem. Zu Recht fordere deshalb Bundespräsident Horst Köhler einen „Klimawandel in Deutschland“.

Angesichts des Geburtenrückgangs gewinne neben der Qualifizierung weniger gut ausgebildeter Arbeitnehmer die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund zunehmend an Bedeutung, deren Anteil in Deutschland rund 20 Prozent ausmacht. „Aufgrund der unterschiedlichen Geburtenzahlen wird der Anteil dieser Bevölkerungsgruppe weiter wachsen", betonte Miebach. „Fakt ist, dass wir auf diese Menschen schon in naher Zukunft angewiesen sind. Denn eigene Kinder haben wir zu wenig.“ Verschärfend hinzu käme noch ein anderes Problem: das der Auswanderung. Im vergangenen Jahr hätten knapp 145.000 Bundesbürger ihren Wohnsitz ins Ausland verlegt, so viele wie seit 1954 nicht mehr. Dabei handle es sich Nur, die Frage stellt sich: Wer wandert aus?
zum großen Teil junge, gut ausgebildete Menschen, die hier aufgewachsen, zur Schule gegangen sind, studiert haben dann Deutschland den Rücken kehrten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Miebach zitierte den Migrationsforscher Klaus Bade, der die Sachlage folgendermaßen beschreibt:

»Es fehlt an dem Glauben, dass überhaupt noch etwas bewegt werden kann.
Undurchlässige Hierarchien und zu viel Bürokratie geben viele für Ihre Abkehr aus Deutschland an.
Es findet ein Exodus von Hochqualifizierten statt.
Es hat ein Export von Talenten eingesetzt.
Naturwissenschaftler, Ärzte und Selbständige verlassen die Bundesrepublik zu Tausenden.
Es gehen die Starken, die Entscheidungsfähigen, die Risikobereiten.
Auf der anderen Seite fehlt immer noch ein schlüssiges Gesetz zur Einwanderung, um diese Verluste auszugleichen.
I
n der Zuwanderung steuern wir zu wenig und wählen zu wenig die Leute aus, die wir brauchen.
Bei denjenigen, die hochqualifiziert sind, erkennen wir häufig diese Erfahrungen nicht an.
Hunderttausende von Physikern, Architekten oder auch Ärzte fahren in Deutschland Taxi und sind Hausmeister.«
Soweit die Ausführungen von Prof. Bade.

Im Folgenden betonte Miebach, dass die erforderlichen Maßnahmen zur Qualifikation und Integration nicht umsonst zu haben sein werden, sondern viel Geld kosten, das zurzeit nicht da sei. Im Zusammenhang mit der Stadt Köln ging er auf die Frage ein, warum das so sei. Da würde zum Beispiel der Um-, bzw. Neubau von Oper und Schauspielhaus genehmigt, und kurz vor Weihnachten seien noch mal eben knapp 300 Millionen Euro durchgewunken worden. Schwer nachzuvollziehen angesichts des Faktums, dass rund jeder dritte Euro in Deutschland in die Sozialtransfers geht. „Es wird zwar viel Geld umgeschichtet, aber den wirklich Bedürftigen hilft es nicht immer in ausreichendem Maße. Die Debatte über Kinderarmut ist berechtigt. Auch hier in Köln gibt es mittlerweile etliche Suppenküchen.“ Unsere regionalen Volksvertreter haben offensichtlich jegliche Hemmungen über Bord geworfen. Kurz vor Weihnachten werden mal eben knapp € 300 Millionen durchgewunken.

Im Gesundheitswesen würden Milliarden versickern. In der Krankenversicherung müsse der Steuerzahler mit gepumpten Milliardenbeträgen aushelfen, während den Versicherten gleichzeitig auf breiter Front Zusatzbeiträge drohten. Das läge nicht allein an der Wirtschaftskrise, sondern auch am unterfinanzierten Gesundheitsfonds.

„Jetzt rächt es sich bitter, dass Union und SPD in guten Zeiten nicht vorgesorgt haben“, stellte Miebach fest. „Die sich anbahnende Krise ist auch hausgemacht und nicht nur auf die globale Rezession zurückzuführen.“ Im Wahlkampf des letzten Sommers sei diese Problematik von Merkel und Steinmeier verdrängt worden und man habe die Wähler in unerträglicher Weise für dumm verkauft.

„Kurzfristig“, so Miebach zum Ende seiner Rede, „hat die neue Regierung nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. (...) An höheren Abgaben wird wohl kein Weg vorbeiführen. Sie müssen jedoch moderat sein, um eine mögliche wirtschaftliche Erholung nicht zu gefährden. Auch Leistungen des Sozialstaates müssen auf den Prüfstand. Aber in erster Linie muss der Rotstift bei den Staatsausgaben angesetzt werden. Sonst wird der Sozialstaat nicht auf Dauer zu finanzieren sein. Es wird kein Geld für eine langfristige Innovations- und Wachstumsstrategie da sein, die zu mehr Arbeit führt. Das ist jedoch die Lebensader eines intakten Sozialstaates.“

Sein Resümee fällt angesichts seiner Betrachtungen ernüchternd aus: „Unsere Gesellschaft steckt vor diesem Problem den Kopf in den Sand und lässt die sozialen Sicherungssysteme kollabieren.“

Mit seiner Rede nutzte Karl-Heinz Miebach die Gelegenheit, drängende Probleme unkonventionell anzustoßen und langfristige Betrachtungen in seine Ausführungen einzuflechten. In Anbetracht der zu bewältigenden Aufgaben wünschen wir daher dem Handwerkerverband und seinem neuen 1. Vorsitzenden viel Glück und Erfolg bei seiner Tätigkeit.

+++ Porz-Mitte +++