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Berlin tetstet nun automatisierten ÖPNV

Die Busfahrer sind inzwischen gesucht wie Krankenschwestern und Erzieherinnen, ausgerechnet der öffentliche Dienst tut sich besonders schwer die Aushängeschilder seiner öffentlichen Leistung bei der Arbeit zu halten. Gehen die Babyboomer in Rente wird bereits der Untergang der Systeme vorausgesagt.
Im ÖPNV besteht zumindest theoretisch die Option die Fahrerei weitestgehend zu automatisieren. Bislang stehen dem Sicherheit und Akzeptanz im Weg. In Berlin geht die TU nun konkrete Schritte an.
 
Automatisierte Busse für den Berliner Nordwesten
TU Berlin begleitet die Einführung von autonomem ÖPNV: Einbindung der Gesellschaft und Akzeptanzforschung
 
Mit dem auf drei Jahre angelegten Projekt „NoWeL4“ soll im Nordwesten Berlins erstmals vollautomatisierter und bedarfsgesteuerter Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) in großem Maßstab getestet werden. Das von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) koordinierte Projekt mit einem Volumen von über 18 Million Euro wird vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr mit 9,5 Millionen Euro gefördert. Das Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) der TU Berlin wird die Beteiligung aller gesellschaftlichen Akteure sicherstellen und eine umfassende Technikbewertung durchführen. Der dafür vorgesehene Förderanteil beträgt 1,6 Millionen Euro.
 
Die Werbung im Straßenbild Berlins zeigt es deutlich: Busfahrer*innen sind schon jetzt gesuchte Fachkräfte. Soll aber die Verkehrswende gelingen – für lebenswertere Städte und den Kampf gegen den Klimawandel – bräuchten wir noch viel mehr von ihnen. Denn um den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu machen, muss sein Angebot stark ausgeweitet werden: Shuttle-Verbindungen, die die „letzte Meile“ übernehmen, Haltepunkte nach Bedarf nah an der eigenen Haustür, generell mehr Linien und dichtere Taktzeiten.
 
 
 
„Schaut man sich den Fachkräftemangel an, der schon jetzt durch den demografischen Wandel herrscht, kann man ziemlich sicher voraussagen, dass durch verstärkte Ausbildung allein der zukünftige Personalbedarf im ÖPNV nicht gedeckt werden kann“, sagt Dr.-Ing. Wulf-Holger Arndt, Leiter des Forschungsbereichs „Mobilität und Raum“ am ZTG. Automatisierten Bussen ohne Fahrer*in komme deshalb in Zukunft eine besondere Bedeutung zu. „Wir haben das Glück, dass Deutschland auf diesem Gebiet tatsächlich mal Vorreiter war und im Juni 2022 als eines der ersten Länder ein Gesetz verabschiedet hat, das den Verkehr solcher Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen regelt.“
 
Vollautomatisiertes Fahren als Lösung
 
In der Nomenklatur des automatisierten Fahrens geht es hier um das sogenannte Level 4: Dabei fährt das Fahrzeug ohne Fahrer*in vollautomatisiert im Normalbetrieb. Kameras, Laser-Abstandsmesser (Lidar), GPS-Ortung und digitale Karten zum aktuellen Straßenzustand halten es auf Kurs und sorgen für sichere Begegnungen mit anderen Verkehrsteilnehmer*innen. Sollte ein System ausfallen oder das Fahrzeug vor einer ungewöhnlichen Situation stehen, kann jederzeit die Leitzentrale eingreifen und Steuerbefehle auslösen.
 
Maßgeschneiderte Verkehrskonzepte für den Berliner Nordwesten
 
„So erklärt sich das L4 in unserem Projektnamen“, erklärt Arndt. „NoWe steht dagegen für den Nordwesten Berlins, genauer das urbane Entwicklungsgebiet zwischen dem ehemaligen Flughafen Tegel, der Siemensstadt und den vormaligen Industriearealen in Gartenfeld und Haselhorst Nord.“ Dieses etwa 25 Quadratkilometer große „Entwicklungsband Nordwest“ sei eines der größten städtischen Entwicklungsgebiete Europas, so Arndt. „Das versetzt die Stadt in die Lage, den zukünftigen Bewohner*innen des Gebiets ein auf ihre Bedürfnisse maßgeschneidertes, nachhaltiges Verkehrskonzept anbieten zu können. Unser Projekt wird dafür ein wichtiger Baustein sein – und dazu beitragen, dass mehr Menschen auf ein privates Auto verzichten.“
 
Einbezug aller Gruppen und Befragung der Passagiere
 
„Um die Anliegen aller beteiligten gesellschaftlichen Gruppen zu erfassen, wird es einen von uns einberufenen Beirat geben“, ergänzt Robert Linke-Wittich, stellvertretender Bereichsleiter, der ebenfalls am Projekt beteiligt ist. Neben Bezirken und Quartiersmanagement, Wohnungsbaugesellschaften und Nachbarschaftsinitiativen werden darin auch Fahrrad- und Verkehrsclubs sowie Fahrgastverbände vertreten sein. In vielen iterativen Runden wird dort dann transdisziplinär an konkreten Vorschlägen zu passgenauen Verkehrsangeboten gearbeitet. „Über repräsentative Umfragen und Tiefeninterviews ermitteln wir zudem im Testbetrieb die Erfahrungen der Passagiere und die Akzeptanz der neuen Technik.“ Auch „teilnehmende Beobachtungen“ als am Geschehen beteiligte Verkehrsteilnehmer*innen werden die Forschenden durchführen.
 
Wichtige Erfahrungen aus Vorläuferprojekten
 
Wichtige Vorerfahrungen konnten die Wissenschaftler*innen vom ZTG bereits beim Vorläuferprojekt „Shuttles&Co“ sammeln, bei dem – noch mit Begleitperson (Automatisierungslevel 3) – kleine automatisierte Minibusse mit maximal sechs Passagieren in Alt-Tegel unterwegs waren. Die Ergebnisse der durchgeführten Akzeptanzuntersuchungen sind im Mai 2023 in der Fachzeitschrift Journal für Mobilität und Verkehr veröffentlicht worden. Auch das noch laufende Projekt „KIS'M“ mit automatisierten Fahrzeugen auf dem Flughafengelände Tegel und angrenzenden Straßenzügen dient als Referenz für NoWeL4. So geht es bei KIS’M zum Beispiel um die Festlegung potentieller Haltemöglichkeiten für die On-Demand-Abholung von Passagieren.
 
Verkehrsmeister 2.0 als Fachkraft für vollautomatisiertes Fahren
 
„Ein wichtiges Ergebnis dieser Projekte war, dass die Akzeptanz wesentlich geringer wäre, wenn größere Fahrzeuge eingesetzt würden und zudem kein Begleitpersonal an Bord ist“, berichtet Wulf-Holger Arndt. Er ist deshalb sehr gespannt, welche Fahrzeuge konkret bei NoWeL4 zum Einsatz kommen werden (was noch nicht entschieden ist) und wie sich das Sicherheitsgefühl der Passagiere verbessern lässt. Gerade auch weil bei diesem Projekt ältere Menschen und solche mit Mobilitätseinschränkungen besonders im Fokus stehen werden. „An die Kontaktmöglichkeiten für die Passagiere zu Servicekräften und generell an die Servicequalität werden beim vollautomatisierten Fahren höhere Ansprüche gestellt werden“, prognostiziert Arndt. Das könnte völlig neue Berufsbilder, die Expert*innen reden von einem „Verkehrsmeister 2.0“, nötig machen. „Die Stellenanzeigen der Verkehrsbetriebe werden auch beim vollautomatisierten Betrieb jedenfalls nicht ganz obsolet werden.“
 
 
 

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