Sie sind hier
Bilbao: Ausstellung THOMAS STRUTH
Das Baskenland ist immer eine Reise wert:
- Sonderausstellung vom 2. Oktober 2019 bis zum 19. Januar 2020
Thomas Struth (* 1954 in Geldern, Niederrhein) ist ein deutscher Fotograf der Düsseldorfer Photoschule).
- Kommissare: Thomas Weski, Kurator, Berlin; und Lucía Agirre, Kuratorin am Guggenheim Museum Bilbao
- Vom Haus der Kunst und dem Guggenheim Museum Bilbao organisierte Ausstellung
- Struths Bilder wollen den Blick des Publikums auf grundlegende Fragen wie den öffentlichen Raum, den Zusammenhalt von Familien, Natur und Kultur, und die Grenzen der neuen Technologien lenken.
- Die Beziehungen zwischen seinen verschiedenen Arbeiten verdeutlichen Struths Fähigkeit, die Analyse mit der Kreation ausdrucksstarker Bilder in verschiedensten Objekten und Medien zu verbinden.
- Die künstlerische Entwicklung Thomas Struths ist von seinem sozialen Interesse geprägt und er setzt Themen wie die Fragilität der menschlichen Existenz, die Auswirkungen der Globalisierung oder die Instabilität gesellschaftlicher Strukturen in Bilder von hoher formaler Eleganz um.
- Die Ausstellung zeigt das einzige Selbstporträt Thomas Struths, das im Jahr 2000 entstand und auf dem er Dürers Selbstbildnis von 1500 betrachtet.
Das Guggenheim Museum Bilbao präsentiert die Ausstellung Thomas Struth, die mittels im Laufe von fünf Jahrzehnten entstandener Werke einen umfassenden Überblick über das innovative Schaffen eines der einflussreichsten europäischen Fotografen der Nachkriegszeit vermittelt.
Was den Bildern von Thomas Struth (*Geldern, Niederrhein) ihren unverkennbaren Charakter verleiht, sind die Fragen, die sie zu Themen wie dem öffentlichen Raum, dem Zusammenhalt von Familien, der Bedeutung von Natur und Kultur oder den Grenzen der neuen Technologien aufwerfen. So stellt sich Struth grundlegenden Themen wie der Instabilität gesellschaftlicher Strukturen oder der Fragilität der menschlichen Existenz, indem er sie in Bilder von hoher formaler Eleganz umsetzt, die im Betrachter Teilnahme und Empathie erwecken.
Die Ausstellung verbindet Struths frühe Arbeiten und Materialien aus dem Archiv des Künstlers mit seinen bekannten Werkgruppen wie Unconscious Places , Family Portraits , Audiences , Museum Photographs , New Pictures from Paradise und This Place. Diese wiederum werden mit Werken wie Berlin-Projekt , eine 1997 in Zusammenarbeit mit dem Medienkünstler Klaus vom Bruch realisierte Videoarbeit, und mit jüngeren Werkgruppen wie Nature & Politics , Animals oder den Landschaften und Blumen, die Struth im Rahmen des Projekts Löwenzahnzimmer für das Lindberg-Spital fotografierte, in Dialog gesetzt. Die Beziehungen zwischen diesen Arbeiten unterstreichen Struths Fähigkeit, Analyse und fotografische Kreativität in verschiedensten Objekten und Medien zu vereinen und so ausdrucksstarke Bilder zu schaffen.
AUSSTELLUNGSRUNDGANG
Saal 205
Während seiner Studienjahre an der Kunstakademie Düsseldorf von 1973 bis 1980 beginnt Struth, die Straßen der Stadt zu fotografieren, anfänglich mit einer Kleinbildkamera, später mit einer Großbildkamera. 1977 setzt er während eines neunmonatigen Aufenthalts in New York seine Arbeit fort und hält die Straßen der Metropole und die Atmosphäre ihrer Bezirke fotografisch fest. Fotografien wie Dey Street , Crosby Street oder West Broadway sind aus derselben symmetrischen Perspektive von der Straßenmitte aus aufgenommen. Mit der Zeit und im Laufe seiner Reisen in andere Städte weicht Struth vom Konzept der Zentralperspektive ab. Bilder wie Veddeler Brückenstrasse, Hamburg 1986 zeigen Stadtlandschaften, die in konzentrierter Form gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen verbildlichen. Die Auswirkungen der Globalisierung, der schnell wachsenden Volkswirtschaften am Ende des 20. Jahrhunderts und der wachsenden Weltbevölkerung bilden die Themen der in der Werkgruppe Unconscious Places zusammengefassten Fotografien, ein Titel, der darauf anspielt, dass die urbanen Strukturen von sichtbaren Spuren unbewusster gesellschaftlicher Prozesse geprägt sind. In diesem Saal sind auch die Familienporträts zu sehen, die ab Anfang der 80er Jahre entstehen und in denen Thomas Struth die familiären Strukturen veranschaulicht. Die Family Portraits haben ihren Ursprung in der Zusammenarbeit des Künstlers mit einem Freund, dem Düsseldorfer Psychoanalytiker Ingo Hartmann, der Familienbilder seiner Patienten im Rahmen der Therapie einsetzt. In einem gemeinsamen Projekt stellen sie eine Auswahl von 60 Porträts zusammen, die Struth reproduziert und einheitlich als Schwarzweiß-Abzüge vergrößert. Diese Arbeit bildet für Struth die Grundlage für die Familienportraits. Die ersten Fotografien dieser Werkgruppe entstehen Mitte der 80er Jahre als Dankgeschenk für die Gastfreundschaft der Personen, die ihn bei seinen Aufenthalten in Edinburgh und im japanischen Yamaguchi in ihrem Zuhause aufnahmen. Die Porträts, unter anderem The Hirose Family , Hiroshima 1987, oder das neuere The Iglesias Family , San Sebastián 2015, sind das Ergebnis formaler Sitzungen, in deren Verlauf die Modelle mit dem Fotoapparat vertraut werden. Die Bilder können unterschiedlich interpretiert werden: Sie zeigen die äußerlichen Ähnlichkeiten der verwandten Menschen, aber auch ihre gesellschaftliche Stellung. In ihnen gelingt es Struth, jeden der Abgebildeten sowohl als Individuum als auch als Teil seiner familiären Struktur zu erfassen.
Saal 206
Dieser Saal ist dem Archiv des Künstlers gewidmet. Es umfasst Arbeitsmaterial, Kontaktabzüge, Karteikarten, Skizzen, Einladungen, Plakate und Fotografien seiner Ausstellungen, frühe Zeichnungen, Montagen, Gemälde, fotografische Studien, Notizbücher, Forschungs-, Lese- und Hörmaterialien sowie Korrespondenz mit Ausstellungskommissaren und Künstlern. Dies ist das zweite Mal, dass dieses selten gezeigte Archiv der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Das für die Ausstellung ausgewählte Archivmaterial bietet einen umfassenden, in chronologischer Reihenfolge präsentierten Überblick über die Arbeitsprozesse Struths und die Entwicklung seines Schaffens. Gemeinsam mit den Archivmaterialien werden einige beeindruckende, in den letzten Jahrzehnten entstandene Fotografien ausgestellt, unter anderem Pergamon Museum 1, Berlin 2001 oder Aquarium, Atlanta 2013 .
Saal 207
Ende der 80er Jahre beginnt Thomas Struth mit der Serie der Museumsbilder, den Museum Photographs , die ihm ermöglicht, seine alte Leidenschaft für die Malerei mit der Fotografie zu kombinieren. Die Bilder untersuchen die Beziehung zwischen den historischen Kunstwerken und den Betrachtern und vereinen die Vergangenheit mit der Gegenwart. So kann das Publikum des Guggenheim Museums Bilbao unter anderem das Publikum betrachten, das 1990 im Art Institute of Chicago Gustave Caillebottes Straße von Paris an einem Regentag (Rue de Paris, temps de pluie, 1877) betrachtet. Außerdem beherbergt dieser Saal das einzige Selbstporträt Struths, das im Jahr 2000 entstand, nachdem er im Vorjahr das Thema der Museumsbilder wieder aufgenommen hatte. Es zeigt ihn beim Betrachten von Dürers Selbstbildnis in der Alten Pinakothek in München. Anders als die Museum Photographs beziehen die Fotografien der Werkgruppe Audiences andere Ansätze und Perspektiven mit ein, wie in Tokyo National Museum, Tokio 1999. Diese Aufnahme entstand bei einer der seltenen Ausstellungen, auf denen Eugène Delacroix‘ Die Freiheit führt das Volk (La Liberté guidant le peuple, 1830) außerhalb Frankreichs zu sehen war, und zeigt das Gemälde, das auf einer Bühne installiert ist, als sei es ein anonymer historischkultureller Gegenstand. 2004 lädt Franca Falletti, Direktorin der Galleria dell’Accademia in Florenz, Thomas Struth und einige weitere Künstler ein, eine Arbeit im Rahmen einer Hommage zum 500. Geburtstag des David von Michelangelo umzusetzen. Hier richtet Struth seine Kamera auf die Besucher der Galerie, die den David betrachten, der jedoch nicht ins Bild einbezogen wird. Dieser Perspektivwechsel im Vergleich zu seinen früheren Museumsbildern, der auf die Reaktionen des Publikums auf das Kunstwerk fokussiert, belegt den zeitlosen ästhetischen Wert der Skulptur und ihre ungebrochene Wirkung auf die Betrachter. Diese Bilder gehören zur Werkgruppe Audience. Struth führt diese Serie mit weiteren Nahaufnahmen von Museumsbesuchern beim Betrachten von Leonardo Da Vincis Madonna Benois (1478-1480) in der St. Petersburger Eremitage oder der Gemälde Diego Velázquez‘ im Museo del Prado in Madrid fort. Die Ausstellung zeigt einige der in Florenz und Madrid aufgenommenen Bilder.
Saal 209
1998 fotografiert Struth die tropischen Regenwälder im Nordosten Australiens und später macht er Aufnahmen von Wäldern, Regenwäldern und Dschungeln in China, Japan, Deutschland, Brasilien, Peru und den Vereinigten Staaten. Mit den Bildern der Serie New Pictures from Paradise, die er selbst als seine intuitivsten Werke bezeichnet, will Struth die rein sinnliche Wahrnehmung der Landschaft erfassen, die über ihre räumliche und zeitliche Identifizierung oder Eingliederung hinausgeht.
Saal 203
2009 wird Struth von dem französischen Fotografen Frédérick Brenner eingeladen, an dem Projekt This Place teilzunehmen, das die durch die Augen zwölf internationaler Fotografen gesehene komplexe Situation Israels und des Westjordanlands als Raum und Metapher verbildlichen soll. Dieses Vorhaben gibt Struth die Gelegenheit, seine auf mehreren Reisen entstehenden Aufnahmen zu einer Zustandsbeschreibung zu verdichten und ein vielschichtiges Bild der gegenwärtigen Situation der Region und ihrer Bewohner zu zeichnen. Zu diesen Fotografien gehören unter anderem The Faez Family, Rehovot 2009, Shuafat Refugee Camp, Ostjerusalem 2009, Mount Bental, Golanhöhen 2011 , und Outskirts of Ramallah, Ramallah 2011 . 1997 realisiert Thomas Struth mit dem Medienkünstler Klaus vom Bruch das Berlin-Projekt , für das sie unabhängig voneinander Szenen an verschiedenen Orten der Welt filmen und dann gemeinsam editieren. In den mit starrer Kamera gefilmten Szenen mit großen Menschenansammlungen wird das Individuum praktisch aufgelöst oder nur noch flüchtig wahrgenommen. Vier Projektionen mit Originalton zeigen alltägliche Szenarien aus verschiedenen Kulturkreisen, in denen Großstadtphänomene wie Eile und zufällige Begegnungen deutlich werden. In dieser Arbeit sprechen die Künstler auch die leichte Erreichbarkeit exotischer Orte und generell die Reisen in Zeiten des Massentourismus sowie die Flut an Urlaubsfotos als gesellschaftlich relevantes Phänomen an.
Saal 202
Anfang der 90er Jahre wird Thomas Struth von Dieter Schwarz, Direktor des Kunstmuseum Winterthur, eingeladen, die Krankenzimmer des Spitals am Lindberg mit seinen Fotografien zu dekorieren. Bei mehreren Besuchen fühlt er sich in die Situation der Patienten ein. Er fotografiert Landschaften und Blumen in der Region, die er gegenüber den Betten installiert, sodass die Kranken sie sehen können. Am Kopfende eines jeden Bettes bringt Struth die Nahaufnahme einer Pflanze an, die ihre Schönheit und Verletzlichkeit zeigt und so zu einer Metapher der Situation der Patienten wird. 2001 werden die Bilder dieses Projekts in der Publikation Löwenzahnzimmer veröffentlicht. In diesem Saal werden außerdem eine Reihe künstlicher, vom Menschen geschaffener Landschaften gezeigt, wie das erste Disneyland in Anaheim, das Walt Disney inspiriert vom Kopenhagener Tivoli entwarf. Die sechs Panoramaaufnahmen dieser Orte, die den Inbegriff der Illusion darstellen, zeigen keine der allbekannten Symbole; vielmehr konzentriert sich Struth auf ihre Landschaften: Berge, Attraktionen etc. Diese Fotografien sind in die Werkgruppe Nature & Politics eingebunden, mit der die Grenzen von Fortschritt, Globalisierung und Technologie hinterfragt werden. Das Zentrum des Saals nimmt die Videoinstallation Read This Like Seeing It for the First Time. Frank Bungarten mit seiner Gitarrenklasse an der Hochschule Luzern, Bern 2003 ein, eine Arbeit, die Thomas Struth 2003 als Beitrag zur Biennale Bern realisierte. Das Video umfasst fünf Unterrichtsstunden der Gitarrenklasse des bekannten deutschen Musikers Frank Bungarten an der Musikhochschule Luzern, die mit zwei Kameras simultan gefilmt werden. Das Werk veranschaulicht die Komplexität und Intensität des Lernprozesses und des Lehrer-Schüler-Verhältnisses im Rahmen der künstlerischen Persönlichkeitsentwicklung. Die Videoaufnahmen werden auf separate Leinwände projiziert, was die unterschiedlichen Perspektiven und Sehweisen verdeutlicht.
Saal 204
2007 stattet Thomas Struth dem Air and Space Museum der NASA einen ersten Besuch ab, der ihn anregt zu versuchen, Zutritt zu beschränkt zugänglichen Einrichtungen der Raumfahrbehörde zu erlangen und sie zu fotografieren. Nachdem er 2008 und 2013 einige Anlagen der NASA fotografierte, gelingt es ihm 2017, Aufnahmen von dem Nullauftriebslabor zu machen, einem riesigen Wassertank mit Nachbildungen der Raumstation in Originalgröße, in dem die Astronauten auf Weltraumspaziergänge vorbereitet werden. Hier werden drei dieser beeindruckenden Fotografien gezeigt.
Saal 208
2007 entstehen die ersten Fotografien der Werkgruppe Nature & Politics , die Aufnahmen avancierter Technikentwicklung in Unternehmen und Forschungslaboren vereint. Raumfahrtsindustrie, Energiegewinnung, medizinische Forschung, künstliche Intelligenz und Robotisierung sind einige der
zukunftsweisenden Technologien, mit denen sich Struth hier auseinandersetzt. Werke wie Semi Submersible Rig, DSME Shipyard, Geoje Island 2007 oder Z-Pinch Plasma Lab, Weizmann Institute, Rehovot 2011 erforschen die Grenzen und die Abbildbarkeit von Fortschritt, Globalisierung und Technologie. Oft sind die Bilder Metaphern einer Entwicklung, in der Technik nicht mehr anschaulich oder begreiflich, sondern in ihrer Komplexität nur noch für hochspezialisierte Fachleute verständlich ist. Schließlich nimmt dieser Saal die Serie Animals auf, die jüngste, 2016 begonnene Arbeit des Künstlers. Die Fotografien zeigen Stillleben, deren Mittelpunkt tote Tiere (Vögel, Säugetiere) sind. Es handelt sich um Tiere, die eines natürlichen Todes gestorben sind und ins Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin gebracht wurden, wo sie Struth mit großem Feingefühl und auf neue, unerwartete Weise abbildete. Mit diesen Werken stellt sich Struth der Würde des Lebens, der humanistischen Tradition und evolutionären Fragen: „Ich habe versucht, die Tiere auf eine schöne und würdevolle Art darzustellen. Mich interessiert der Moment der Hingabe: Wenn man stirbt, endet der ganze ‚Zirkus’, das ganze Theater, welches wir selber kreieren, mit einem Mal ganz plötzlich. Diese Bilder sollen wie Fausthiebe sein, der Moment des Todes als eine Art Warnruf.“
DIDAKTIK
Der didaktische Bereich der Ausstellung wurde „Stiller Blick und Kunst mit Nachhall“ benannt. In ihm wird dem Besucher Einblick in die Ideen und Schaffensprozesse Thomas Struths geboten, so zum Beispiel die Themen der Serien, die in seinem Schaffen immer wieder auftauchen, das Interesse für die Familienbeziehungen oder das Betrachten von Personen die ihrerseits Betrachter sind. Aufgrund Struths großer Liebe zur Musik zeigt der didaktische Bereich die Ähnlichkeiten, die zwischen den Schaffensprozessen von Fotografen und Musikern bestehen, und ermöglicht den Besuchern die Interaktion mit einer Applikation zur Erstellung musikalischer Kreationen. Eine Auswahl von Ausschnitten des Films über Thomas Struth von Ralph Goertz und Werner Raeune vervollständigt das Angebot.
- Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden.