60 Jahre Volksrepublik China

Zum chinesischen Nationalfeiertag am 1. Oktober (von J.Wartschinski)

Für die chinesische Gemeinde in Deutschland hat der diesjährige 1. Oktober eine besondere Bedeutung. Er bezeichnet nicht nur den chinesischen Nationalfeiertag, sondern markiert in diesem Jahr außerdem ein Jubiläum: Vor sechzig Jahren, am 1. Oktober 1949, wurde die Volksrepublik China proklamiert, nachdem die Kommunisten unter Mao Zedong (1893–1976) die Macht errungen hatten. Mao wurde Staatspräsident und Zhou Enlai (1898–1976) Ministerpräsident und Außenminister.

Vorangegangen war ein zweijähriger Bürgerkrieg gegen die Regierung der Nationalen Volkspartei „Kuomintang“, die von Chiang Kai-schek (1887–1975) geführt wurde. Das Kuomintang-Regime war nationalistisch und totalitär und hatte nicht vermocht, den rückständigen Staat ausreichend zu reformieren und das Los der verarmten Landbevölkerung zu verbessern. In der 1921 gegründeten Kommunistischen Partei sah die Kuomintang einen Feind, verbot sie 1927 und bekämpfte sie militärisch. 1928 schlossen sich Maos Guerillatruppen mit der „Roten Armee“ des Generals Zhu De (1886–1976) zusammen. Sie und ihre Anhänger, rund 100 000 Menschen, machten sich 1934/35 auf einen „Langen Marsch“ in den Norden Chinas und legten 10 000 Kilometer zurück, um ihren Verfolgern zu entkommen.

Die innere Zerrissenheit machte China zu einer leichten Beute für die imperialistischen Ambitionen eines mächtigen Nachbarn: des Kaiserreichs Japan. 1932 bereits hatte Japan die Mandschurei unter seine Kontrolle gebracht und in einen Vasallenstaat umgewandelt. 1937 führte ein Feuergefecht zwischen japanischen und chinesischen Soldaten nahe Peking zum Japanisch-Chinesischen Krieg (1937–1945), in dessen Verlauf Japan große Teile Chinas eroberte. In diesem Krieg, von Japan als Vernichtungskrieg geführt, kamen ca. 10 Millionen Chinesen ums Leben, und nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor 1941 war er nur noch ein Nebenschauplatz des Zweiten Weltkrieges. Nach der Niederlage Japans 1945 flammte in China der Bürgerkrieg zwischen Kuomintang und Kommunisten wieder auf. Schließlich siegten die Kommunisten und ihre „Volksbefreiungsarmee“, und Chiang Kai-schek flüchtete mit zwei Millionen seiner Anhänger auf die Insel Taiwan und wurde dort zum Präsidenten von National-China gewählt, jahrzehntelang protegiert von den USA.

In der vor 60 Jahren gegründeten Volksrepublik China verteilte die kommunistische Regierung das Land an die Bauern und kollektivierte die Landwirtschaft. In einem „großen Sprung nach vorn“ sollte China zudem zur Industrienation werden. Dieser große Sprung, mit unzähligen Opfern erzwungen, dauerte zwar länger als geplant, ist aber inzwischen gelungen: Vor 60 Jahren noch ein rückständiges Agrarland, ist China heute ein moderner Industriestaat und eine globale Wirtschaftsmacht. Viele Chinesen inner- und außerhalb der Grenzen ihres Landes sehen darum den 1. Oktober mit Stolz.

Andere hingegen erinnern sich an ein Datum, das nur zwanzig Jahre zurückliegt: an den 4. Juni 1989, als die „Volksbefreiungsarmee“ auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ in Peking ein Massaker unter den Demonstranten der Demokratie-Bewegung anrichtete.

Unter Maos Nachfolger an der Parteispitze, Deng Xiaoping (1904–1997), war es in den 1980-er Jahren zu Reformen im Bereich der Wirtschaft gekommen. Privates Unternehmertum war nicht länger tabu, und reich zu werden, war keine Schande mehr. Es überrascht nicht, dass viele Parteifunktionäre, die vorher schon Macht und Einfluss hatten, besonders schnell reich wurden. An Reformen des politischen Systems hatten sie kein Interesse. Die Kommunistische Partei hielt an ihrem Führungsanspruch fest und duldete nach wie vor keine Opposition. Das Dogma hieß nun nicht mehr Sozialismus, sondern schlicht Machterhalt. Freiheit gab es lediglich auf dem wirtschaftlichen Sektor, und auch dort nicht für alle. Nichtsdestotrotz nahm das Land einen rasanten Aufschwung, der zwar nicht jedermann zugute kam, aber zur Folge hatte, dass die chinesische Regierung nicht nur Polizei und Armee kontrolliert, sondern inzwischen auch die Verfügungsgewalt über weltweite Geldströme ausübt. Zum Jahrestag der Staatsgründung lässt die Parteiführung wiederum die Muskeln spielen. Damit der Feiertag nicht durch kritische Töne getrübt wird, wurde eine neue „Disziplinierungsmaßnahme“ für Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten ersonnen: Man „schickt sie auf Reisen“. Sie müssen ihre Stadt verlassen, dürfen keine Gespräche mit ausländischen Reportern führen und keine Artikel für das Internet verfassen – eine Art Hausarrest. Regierungskritische Stimmen dürften sich zum Jahrestag also nur außerhalb des Reichs der Mitte erheben.

Für viele Schwellenländer ist die Entwicklung Chinas eine Erfolgsgeschichte, der sie gern nacheifern möchten. Für autoritäre Regime jeder Couleur, die auf billige und politisch entmündigte Arbeitskräfte zurückgreifen können, ist es verlockend, sich durch militärische oder wirtschaftliche Macht wenn möglich unangreifbar zu machen, so dass sie Sanktionen von außen kaum mehr treffen können. So könnte gerade die Freiheit der Märkte und des Kapitals dazu führen, dass künftig immer mehr Menschen ihre persönliche Freiheit einbüßen. Forderungen nach weltweit gültigen Regulierungen der Märkte stoßen regelmäßig auf Ablehnung aus dem neoliberalen Lager. Nicht nur undemokratische Regime, sondern auch markt- und kapitalgläubige westliche Regierungen sind an einer Zukunft interessiert, in der der Mensch nur noch ein Dispositionsfaktor ist.

+++ Historisches Stichwort +++